Interview

Wie Spitzweg unter dem Dach arbeitet die Künstlerin Mey Bauer in ihrem kleinen Atelier, ganz oben im Einfamilienhaus. Statt eines Bettes steht in dieser Mansarde fast ebenso spartanisch nur ein kleiner Schemel. Gemalt wird meist im Sitzen ohne Staffelei, das gespannte Leinen lehnt direkt an der Wand. Im Regal, auf dem Boden, überall Farben, Bücher, Fotos, Postkarten, fertige und unfertige Bilder. Fast alles ist bunt, nur die Malerei, die gerade in Arbeit ist, ist noch eine monochrome graue Fläche. Hier treffen wir uns für das Interview. Die Fragen stellte Caroline Schmidt-Gross.

Sie malen gerne Schatten, weiß auf weiß, oder schwarz auf weiß. Dieses Bild gehört auch dazu?
Das wird ein Strohsee: Also Stoppelfelder im Schnee. Das ist noch eine Inspiration von Martin Wille, mit dem ich gemeinsam die Künstlergruppe Tapetenzerstörer gegründet habe. Das Bild gehört zu den absoluten Härtefällen. Die weiße Fläche, der Schnee und im Gegensatz dazu die pechschwarzen, kontrastierten Stoppel. Das hat mich im Winter sehr berührt.

Welche Farben nutzen Sie?
Ich male nur mit Acrylfarben. Mein Leben reicht nicht aus, um das Acryl auszuschöpfen. Acryl ist so vielgestaltig, das hat ein Reichtum und eine Tiefe und man kann so viel mit den unterschiedlichsten Pinseln entdecken. Das ist meine Hingabe. Da bin ich Malerin mit Leib und Seele. Und bei jeder Farbe habe ich meine Lieblingsfarbton. Da ist mein Lieblingshautton und hier steht mein Lieblingselfenbein. Welche Farbe ich wann nutze, das ergibt sich aus der Erfahrung. Mit dem ersten Pinselstrich geht es los und dann komme ich auch in einen Flow, der dann zeitlos ist.

Haben Sie eine Lieblingsfarbe?
Ja, Grün. Grün ist auch die Tinte in meinem Füller.

Hier liegen viele Fotos, Postkarten und Bilder. Dienen sie der Inspiration?
Manchmal brauche ich meine Fotos nur für eine Stimmung. Wenn die saftige Schwere mein Thema ist, dann lege ich mir Bilder oder Fotos auf den Boden und dann geht es los. Sie dienen mir auch manchmal als Skizzen wie zum Beispiel für die Serie: die alte Kinderklinik in Heidelberg. Ich finde gerade die Architektur aus den 60er Jahren so faszinierend. Diese alten Bauten haben so viel Flair. Damit bin ich ja auch groß geworden.

Sie malen nicht nur abstrakte oder Landschaftsbilder, sondern auch Gebäude und Straßen…
…wie zum Beispiel die Kaiserstraße in Mülheim. Da liegt so eine Dynamik drin. Diese Stadtbebauung ist genauso verloren wie eine Landschaft. Im Ruhrgebiet liebe ich auch die Gleichzeitigkeit der verschiedenen Epochen. Man spürt überall die Vergangenheit: In den Häusern, in den Schrebergärten, beim Fußball. Und gleichzeitig ist die Stadt sehr modern und lebendig.

Wann wissen Sie, dass ein Bild fertig ist?
Jedenfalls weiß ich, welches Bild noch nicht fertig ist. Das in der Ecke zum Beispiel. Ich habe neulich eine Revision gemacht und um die 60 Bilder weggeworfen. Von denen habe ich mich getrennt, damit die anderen richtig strahlen können. Das war auch eine Befreiung. Jetzt habe ich für mich klargestellt: wo stehe ich und wo will ich hin.

Wieviel Bilder haben Sie jetzt insgesamt?
Ungefähr 600 Bilder.

Sie geben Ihren Bildern auch Namen?
Jedes Bild bekommt einen Namen. Dieses hier heißt „An der Ems“ oder dieses hier „Die große Fracht“. Wenn das Bild noch keinen Namen hat, dann ist es auch noch nicht fertig. Fertig ist es dann, wenn alles da ist und nichts mehr fehlt. Das sind auch Momente, die ich in der Familie erlebe. Wenn man alles gleichzeitig spüren kann. Oder es sind Momente, die ich in der Natur erlebe, im Gericht, wenn ich mit einem Angeklagten oder Zeugen in Kontakt trete, wenn singuläre Momente entstehen, wenn alle Dimensionen gleichzeitig zum Stehen kommen und doch vorangehen. Dieses Gefühl erlebe ich auch in der Malerei. Dann ist man mittendrin. Dann geht es zack, zack und die Linie findet sich und ich kann in dem Bild herumgehen.

Sie sagen die Familie gibt Ihnen Kraft. Auf der anderen Seite brauchen Kinder oft viel Aufmerksamkeit, oder können schwer aushalten, dass die Eltern keine Zeit für sie haben.
Die Kinder wissen genau, wann ich male und akzeptieren auch, dass sie nichts anfassen dürfen. Trotzdem kommen sie manchmal hoch ins Atelier und gucken, was Mama so macht. Während der Homeschooling-Zeit habe ich mit ihnen an einem Stillleben gearbeitet. Das steht hier: Eine blaue Flasche, eine Stoffrobbe und ein Glas. Ich habe es gemalt und die Kinder durften es abzeichnen. Die kriegen einen Bleistift, Papier, Radiergummi und Anspitzer. Genauso habe ich auch angefangen.

Die Familie gibt Ihnen also mehr Halt, als dass sie stört?
Bei vielen Familien ist es ja so, dass sie das eigene Schaffen fast ausschließen, wie zum Beispiel bei Paula Modersohn-Becker. Mit ihrem Leben in Worpswede habe ich mich intensiv auseinandergesetzt. Bei mir ist es genau anders herum. Die Familie hat mir eine Lebensfülle und Lebensfreude geschenkt und mir noch einmal eine ganz andere Tiefe gezeigt. Es ist eine ganz andere Dimension im Dasein. Mein Malen fühlt sich ganz harmonisch im Familienalltag an. Da ist alles im Fluss. Das gibt mir soviel Power, die mich auch befreit. Ich habe dadurch eine ganz andere Freiheit, mich dem Leben zu stellen. Ich weiß jetzt, ich kann das. Ich kann Mutter sein, Strafrichterin und Malerin sein. Ich habe meinen Platz gefunden.

Ist es auch ein Gefühl des Angekommenseins? Nicht mehr suchen oder sich beweisen zu müssen?
Jetzt hat für mich in der Malerei eine Epoche angefangen, in der es heißt, aus dem Vollen zu schöpfen. Natürlich ist auch mein Frühwerk unwiederholbar. Das sprüht von Entdeckergeist. Da habe ich viele Erfahrungen gemacht, auch bittere und schmerzhafte. Jetzt aber ist die Zeit, wo mir das Leben noch einmal eine andere Facette zeigt. Und das ist jetzt eine neue Kraftquelle für meine Malerei.

In welche Richtung geht Ihre Malerei?
Ich habe eine starke Anknüpfung zur klassischen Moderne. Da fühle ich mich hingezogen. Von der Haltung her, finde ich mich dort wieder. Eine starke Zugehörigkeit finde ich auch bei Oskar Roehler und seinem Roman „Herkunft“. Der packt das in Worte, was mich in der Malerei beschäftigt. Er macht die Geschichte der Bundesrepublik spürbar. Wenn mir das mit meiner Malerei gelingt, das wäre wunderbar.

Was ist ihr Ziel?
Erst einmal eine Ausstellung im Folkwang Museum und ein Interview in der Süddeutschen Zeitung. Die innere Power, die ich jetzt habe, die hat natürlich auch etwas mit Erfahrungen zu tun, die ich gemacht habe. Auch als Vorsitzende Richterin der Strafkammer. Ich habe damals gesagt, ich will das und ich kann das. Die Malerei ist ja auch ein sehr einsames Geschäft. Und man tut sich schwer, damit nach außen zu gehen. Ich bin Malerin und keine Vermarkterin, auch wenn die Bilder gesehen werden wollen. Aber jetzt habe ich das Gefühl, ich kann loslegen und kann damit raus gehen. Das ist jetzt dran. Und dann fängt eine Strömung an, die einen mitnimmt und auf die merkwürdigste Weise fangen die Kräfte an zu wirken.
Da fällt mir das bekannte Zitat von Johann Wolfgang von Goethe ein: "Bis man sich verpflichtet hat, zögert man, läuft man Gefahr, einen Schritt rückwärts zu machen, ist man immer wirkungslos. Es gibt eine elementare Wahrheit, die auf alle Initiativen und Schöpfungen zutrifft und deren Unkenntnis zahllose Ideen und prächtige Pläne zugrunde richtet. In dem Augenblick, in dem man sich unumstößlich verpflichtet, tritt auch die Vorsehung in Erscheinung. Alle möglichen Dinge ereignen sich, um einem zu helfen, die sich anderweitig niemals ereignet hätten. Ein ganzer Strom von Geschehnissen entfließt der Entscheidung, beschwört alle möglichen unvorhergesehenen Vorkommnisse, Zusammentreffen und materielle Hilfe zum eigenen Vorteil herauf, wovon keiner sich hätte träumen lassen, dass ihm das je geschehen würde. Was Du Dir auch immer vorstellen kannst, kannst Du auch tun. Fang an, jetztgleich!"

Gibt es auch Pausen von der Malerei oder Grenzen?
Manchmal merke ich, dass andere Dinge in den Vordergrund treten. Dann macht die Malerei eine kleine Pause. Als ich meine Kinder bekommen habe, habe ich auch ein halbes Jahr nicht gemalt. Dann muss eben wieder etwas Leben gesammelt werden. Dafür geht es nach einer Pause mit dem doppelten Tempo weiter. Malen ist grenzenlos. Die einzige Grenze ist der Platz an der Wand, um alle aufhängen zu können.

Wie hat die Corona-Krise Ihr Leben und Ihre Malerei verändert?
Ich bade jetzt, weil das Schwimmbad geschlossen hat, zwei bis dreimal in der Woche auch bei Minustemperaturen im Meer. Mit Neoprenanzug, Kappe, Handschuhen und Schuhen. Ich mag die Erfahrung, wenn die Kälte langsam den Körper packt während ich durch die Eisschichten schwimme und ganz alleine im Wasser treibe. Das Licht, das durch die Bäume schimmert ist immer anders. In diesen Momenten spüre ich ganz stark die Lebendigkeit und bin voller Energie.

Wie Sie eben sagten, Sie beobachten vieles ganz genau und erspüren es. Wie nehmen Sie diese Gefühle und Eindrücke mit ins Atelier?
Normalerweise mache ich Pole Dance. Das geht im Moment wegen Corona auch nicht, also laufe ich. Auch dabei beobachte ich ganz genau die Natur. Neulich bin ich den Berg hinuntergelaufen und auch da fiel das Sonnenlicht durch die Bäume auf den gefrorenen Boden. Das sah aus wie flüssiges Gold. Und da hindurchzulaufen und einzutauchen, das ist eine Wahrnehmung in allen Dimensionen. Das sind dann Momente, die eins zu eins sind. Egal ob im Beruf oder in der Malerei. Da geht eins ins andere über und dass macht die Malerei stark.

Dafür brauchen Sie eine gewisse Durchlässigkeit, um diese Dimensionen wahrzunehmen und in Farben umzuwandeln.
Die Farben mischen sich ganz von selbst wie bei Bäumen oder Wolken. Das nehme ich mit aus der Natur. Ich mache Fotos und erinnere mich im Atelier an die Gefühle oder Eindrücke. Ich gehe nochmal richtig rein in die Stimmung und drücke sie dann oftmals auch in abstrakten Bildern aus. Wie auf dieser Leinwand: die roten Früchte im Herbst. Oder in Landschaftsbildern aus dem Münsterland an der Ems. Besonders in dieser Region finden sich sehr satte Farben und starke Himmel.

Sie tragen auch Tattoos. Entwerfen Sie die selber?
Die Tattoos entstehen im Einklang mit meiner Tätowiererin. Die kennt mich gut und die Motive entwickeln wir gemeinsam. Neulich war ich mit meinem Mann in Heidelberg im Zoo. Mich haben dort die Fische unter Wasser fasziniert. Ich habe sie fotografiert und mein Mann sagte gleich: Das gibt sicherlich ein neues Tattoo. Und so ist es auch. Jetzt schwimmen die Fische auf meinem Bein. Es war eine Riesenfreude nach dem Lockdown. Ich weiß auch, was ich nicht kann. Ich kann kein Webdesign, ich kann kein Nageldesign und ich kann keine Tattoos. Muss ich auch alles nicht. Ich muss nur meine Bilder malen.

Wo stehen Sie jetzt als Malerin?
Ich stehe mittendrin, aber auch immer wieder neu am Anfang. Ich weiß, mein Oeuvre ist da. Da ist ein satter Schatz an Bildern, der präsent ist und aus dem ich schöpfen kann. Aber meine Neugier ist ungebrochen. Ich stehe immer wieder mutig und neugierig vor meinen Bildern. Und da ist auch immer wieder die Lust weiter zu gehen…